„Ich habe keine Zeit“ – Achtsam sprechen mit Kindern

Achtsam sprechen mit Kindern | 22. Dezember 2021

"Die Art, wie wir mit unseren Kindern sprechen, wird ihre innere Stimme", lautet eines meiner Lieblingszitate von Peggy O'Mara. Was macht es also, wenn wir in die "Ja, Schatz, später"-Falle tappen und unseren Kindern vermitteln, dass wir keine Zeit für sie haben?
Das erfährst du in meinem ersten Blogeitrag. Ich wünsche dir ganz viel Spaß beim Lesen. 

Kartoffelsalat

Zum Einstieg möchte ich dir eine Geschichte aus einem sehr interessanten Buch nacherzählen, das vor kurzem meine Aufmerksamkeit gewann. Sie stammt aus Gary Chapmans und Ross Campbells "Die fünf Sprachen der Liebe für Kinder".

Die vierjährige Sara zieht am Arm ihrer Mutter Tina: "Mamaa, spiel mit mir!".

"Das geht jetzt nicht, ich muss erst den Kartoffelsalat fertig machen", antwortet diese, "geh du schon einmal vor, ich komme dann später nach". Wie aufgetragen geht Sara in ihr Spielzimmer. Nach nur fünf Minuten kommt sie bereits wieder. "Süße, ich hab dir doch bereits gesagt, dass ich zuerst den Kartoffelsalat fertig machen muss. Nun lauf schon! Ich bin gleich bei dir", sagt Tina. Wieder gehorcht Sara. Und wieder ist sie in kürzester Zeit zurück. Irgendwann ist der Kartoffelsalat wirklich fertig und die beiden können spielen. Doch Mutter Tina ahnt schon, dass sich am Tag darauf ein ähnliches Szenario ergeben wird.

Was ist also aus der Sicht von Sara passiert? Einen ersten Hinweis liefert uns das Prinzip der fünf Sprachen der Liebe von Paartherapeut Chapman. Es wurde ursprünglich für Paarbeziehungen entwickelt, kann jedoch ebenso auf die Beziehung zwischen Erwachsener und Kind übertragen werden.

Die Fünf Sprachen der Liebe lauten wie folgt

  1. Körperliche Nähe
  2. Lob und Anerkennung
  3. Zuwendung und Zeit
  4. Geschenke als Überbringer der Zuneigung
  5. Beistand und Hilfe

Diese fünf "Sprachen" sind für alle Kinder in Sara's Alter von höchster Bedeutung. Ein Kind, dass alle oder mehrere von ihnen regelmäßig von seinen Eltern vermittelt bekommt, fühlt sich bedingungslos angenommen und geliebt.

Meist jedoch besitzen Kinder eine "Muttersprache", also eine Ausdrucksweise der Liebe, die ihnen besonders wichtig ist.

Sara's "Muttersprache" hast du mit Sicherheit schon erkannt. Die Vierjährige sehnt sich nach ungeteilter Aufmerksamkeit, Zuwendung und Zeit mit ihrer Mutter Tina. Stell dir an dieser Stelle einfach vor, Sara hätte einen "Liebestank", der momentan leer ist. Er kann nur mit der Zuwendung ihrer Mutter gefüllt werden. Hätte Tina sich eine Viertelstunde intensiv mit Sara beschäftigt bevor sie den Kartoffelsalat machen musste, hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit ungestört kochen können.


Ich möchte dir eine Geschichte erzählen...

Nun möchte ich eine ähnliche Erfahrung aus meinem eigenen Leben anschließen. Sie hat sich vor vielen Jahren ereignet, als ich meine ersten Erfahrungen mit Kindern sammeln durfte.

Bestimmt stößt du rasch auf die Parallelen zur Kartoffelsalatgeschichte und die fehlende Sprache der Liebe.

Zweitausendvierzehn. Ich war frisch aus der Schule, hatte mein Abitur in der Tasche und meiner Meinung nach genug über Algebra, tote Sprachen und den Zitronensäurezyklus gelernt. Was gab es also Schöneres, als die echte Welt zu entdecken und das Glück in der Ferne zu suchen. So fand ich mich kurze Zeit später als Au pair einer amerikanischen Familie in einem Vorort von Boston wieder. Ich entdeckte dort mein Herz für Kinder, konkret gesagt für zwei Mädchen im Alter von fünf und sieben Jahren. Chloe und Jillian.

Zugegeben, zu Beginn war es nicht ganz leicht, das Vertrauen der Beiden für mich zu gewinnen. Hatten sie doch vor meiner Zeit schon zahlreiche Babysitter und ein schwedisches Au pair verabschiedet, welches die Familie aus Heimweh frühzeitig verlassen hatte. Nichtsdestotrotz wuchsen wir mit Heranschreiten des Jahreskreislaufs immer näher zusammen. Manchmal – wenn die Eltern ausgegangen waren – schlief ich sogar auf dem harten Holzboden ihres Kinderzimmers, damit sie besser einschlafen konnten. Aber eigentlich geht es in dieser Geschichte nur in zweiter Linie um Chloe und Jillian. Eigentlich geht es um ihren Vater Bruce. Bruce war ein durchaus sympathischer, anfang-sechzig-Jahre-alter Mann, Hobbyheimwerker und Strahlemann. Er war mit einer der erfolgreichsten Geschäftsfrauen Massachusetts verheiratet, arbeitslos und wie man es in der Landessprache ausdrücken würde, "always busy“ (dauerbeschäftigt).

Auf den neuen Tag stimmte er sich mit einer Zeitung und einem morgendlichen XXL-Kaffee bei Dunkin Donuts ein, bevor er an der ein oder anderen Stelle im Haus herumwerkelte.

Wie gesagt, Bruce arbeitete nicht im herkömmlichen Sinn. Und doch ging ihm immer ein "Ich habe keine Zeit“ oder ein "Daddy ist beschäftigt“ über die Lippen, kam eine seiner Töchter doch einmal auf die Idee, ihn um seine Aufmerksamkeit zu bitten.

Es gab nur einen Grund, der ihn dazu bewegte, seine Tätigkeiten vorzeitig abzubrechen, nämlich wenn eines seiner Kinder krank wurde. Denn dann verwandelte sich Bruce in Sekundenschnelle zu einem Superhelden, der sein Kind von der Krankheit heilen und gesund pflegen wollte. Was blieb der kleinen Chloe, die noch dazu ein sehr fantasievolles Mädchen war, also anderes übrig? Das kerngesunde Kind imitierte die buntesten Krankheiten, die nur mit einem halben Kilo Pflaster und der vollen Zuneigung des Vaters wieder geheilt werden konnten. Am häufigsten klagte sie über Bauchschmerzen.

Leider habe ich zum heutigen Zeitpunkt den Kontakt zu dieser Familie aus den Augen verloren. Doch habe ich von meiner Nachfolgerin Julie aus Frankreich erfahren, dass die Eltern zum Wohle ihrer Chloe letztendlich einen Arzt aufgesucht haben. Dieser habe ihnen nahegelegt, ihrer Tochter mehr Zeit zu widmen. Ich bin also guter Dinge, dass sich in diesem Fall ein Happy end ergeben hat.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass es mir nicht darum geht, das Verhalten des Vaters zu verurteilen oder gar abzuwerten. Vielmehr geht es mir darum, darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es ist, dass wir uns den Kindern mit unserer vollen Aufmerksamkeit widmen. Das wird nicht immer möglich sein und das muss es auch gar nicht. Und dennoch ist es wichtig zu verstehen, was es auf lange Sicht mit Kindern machen kann, wenn wir ihnen ohne kindgerechte Begründung, ohne Einfühlungsvermögen und ohne jegliche Art von körperlicher Zugewandtheit vermitteln, dass wir keine Zeit für sie und ihre Anliegen haben,

Anhand der intensiven Gegenreaktion der fünfjährigen Chloe lässt sich vermuten, dass sie sich von ihrem Vater ungesehen, unwichtig und ungeliebt gefühlt haben muss. Hieraus entwickelt ein Kind nicht selten Glaubenssätze wie "Ich habe keine Priorität“ oder "Ich bin nicht wichtig“. Sie werden oft tief im Unterbewusstsein vergraben und ploppen dann im Erwachsenenalter wieder hoch.


Was kannst du also beachten?

1. Meine Reflexionsfragen für dich

Bevor du deinem Kind also vorschnell erklärst, dass du keine Zeit zum Spielen etc. hast, stelle dir die folgenden Reflexionsfragen:

  • Habe ich wirklich keine Zeit?

  • Muss ich das, was ich erledigen möchte, auch wirklich jetzt tun?

  • Oder kann ich es genauso gut zu einem späteren Zeitpunkt erledigen?

  • Hat es wirklich negative Folgen, wenn ich meine Tätigkeit später erledige?

  • Welche positiven Auswirkungen hat es auf mich und mein Kind, wenn ich meinem Kind zuerst die volle Aufmerksamkeit schenke?

2. Kinder helfen gerne

Kommst du nach reiflicher Überlegung immer noch zu der Erkenntnis, dass deine aktuelle Tätigkeit nicht aufzuschieben ist, versuche eine Möglichkeit zu finden, wie dein Kind dir behilflich sein kann. Ich kann dies nur wärmstens empfehlen. Erfahrungsgemäß helfen Kinder gerne. Sie erleben sich als selbstwirksam und werden in den meisten Fällen ganz nebenbei an die Hausarbeit herangeführt. Chloe und Jillian durften mir beispielsweise des Öfteren ihre Wäsche sortieren, bevor ich sie dann ordnungsgemäß zusammenlegen konnte. Auch Kitas gehen in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voran. Neben den "normalen" Besen und Kehrschaufeln besitzen gibt es manchmal kleinere Exemplare, sodass die Kinder jederzeit beim Kehren helfen können.

3. Wertschätzend vermitteln: Wir spielen später

Kommst du nach reiflicher Überlegung immer noch zu der Erkenntnis, dass deine Tätigkeit nicht verschoben werden und dein Kind nicht helfen kann (manchmal ist das eben so!), dann finde eine kindgerechte und wertschätzende Art und Weise, es ihm zu vermitteln. Achte hierbei auf eine für das Kind verständliche Begründung, warum du die Tätigkeit zuerst erledigen musst und gib ihm einen Ausblick, was ihr danach gemeinsam anstellen werdet. Signalisiere deinem Kind, dass es geliebt und wichtig ist.

4. "Zeit für uns" von Hasbro - ein klasse Video!

Schau dir das Video von Spielehersteller Hasbro an. Es trägt den Titel "Zeit für uns" und ich glaube, es kann so einigen Eltern die Augen öffnen. Das Video zeigt eine Art Experiment und ist mit echten Familien, die das Ziel des Werbespots zuvor nicht kannten, gedreht worden. Mädchen und Jungen verschiedenen Alters äußern ihre Trauer und Enttäuschung darüber, dass ihre Eltern so wenig Zeit zum Spielen hätten. Was sie nicht wissen ist, dass ihre Eltern sie durch eine versteckte Kamera beobachten. Schau dir den Werbefilm an, er wird dir die Wichtigkeit dieses Themas vor Augen führen und dich dazu motivieren, dir selbst im stressigsten Alltag genügend Zeit für dein Kind einzuräumen.


Hier hast du auch gleich den Link von mir:

Hasbro. Hasbro Gaming Deutschland. Zeit für uns. Veröffentlicht am 19.10.2018. https://www.youtube.com/watch?v=twtbhS4LzkQ (letzter Zugriff am 29.12.2020).


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