Intuitives Essen bei Kindern

Achtsam sprechen mit Kindern, Familienalltag | 1. März 2022

Kennst du sie? Die Sätze und Spiele, die Kinder zum Essen motivieren sollen. "Wenn du deinen Teller leer isst, scheint morgen die Sonne“, das "ein Löffelchen für Mama, ein Löffelchen für Papa“- Spiel oder die Anekdote von den Kindern in Afrika, die ja froh wären, wenn sie so viel zu essen hätten.

Die ein oder anderen Floskeln mögen vielleicht in deiner eigenen Kindheit an dich herangetragen worden sein. Sie können Ausdruck verzweifelter Eltern sein, die das Kind ermutigen wollen, mehr Nahrung zu sich zu nehmen. Dahinter steckt meist vielmehr gut gemeinter Rat als böse Absicht. Die meisten Erziehenden sorgen sich um das Wohl ihres Kindes. Sie möchten, dass es gesund ist und sich gut entwickelt. Aus meiner Sicht ist dies absolut nachvollziehbar, und doch möchte ich dich für die potentiellen "Nebenwirkungen“ sensibilisieren, die das unbedachte Eingreifen in die kindliche Essenssituation mit sich ziehen kann.

Die Grundsätze eines natürlichen Essverhaltens

Welche Auswirkungen haben derartige Erziehungsmethoden für ein Kind?

All die Tricks, die das Kind zum Essen animieren sollen, berauben es in seiner eigenen Entscheidungsfreiheit.

Animiert der Erwachsenen sein junges Kind also beispielsweise mit dem "Ein Löffelchen für.."-Spiel, so drückt er indirekt aus: Du bist (noch) nicht in der Lage, selbst über die Essensmenge zu entscheiden.

Diese Annahme kann ich ein Stück weit nachvollziehen, wenn ich sie auch selbst nicht vertreten kann. Ich bin der Meinung, dass ein Kind - in einem Rahmen, der zuvor von uns gesteckt wurde - selbst über sein Essverhalten bestimmen kann und dies nach seinen Möglichkeiten auch tun sollte. Denn entscheidet ein junger Mensch nicht selbstbestimmt oder wird er beispielsweise aufgrund von unbedachten Sprüchen der Erwachsenen daran gehindert, so wird ihm auf lange Sicht das natürliche Essverhalten abhandenkommen.


Natürliches Essverhalten bedeutet für mich, dass ein Kind…

1. Nahrung zu sich nimmt, die ihm schmeckt und guttut.

2. Isst, wenn es hungrig ist.

3. Mit dem Essen aufhört, wenn es Sättigung spürt.

4. Im besten Fall langsam und achtsam isst.


Kinder in den ersten Lebensjahren können das. Auch wir konnten es in unserer Kindheit. Die meisten von uns haben es nur im Laufe der Jahre, aufgrund verschiedener Einflüsse unserer Umwelt, verlernt. Werbung, Soziale Medien und Hochglanzmagazine lassen uns glauben, dass Kohlenhydrate dick machen und empfehlen uns eine Low Carb-Diät. Wir pumpen uns mit Nahrungsergänzungsmitteln, Shakes und Früchtesmoothies voll und verzichten trotz Hunger auf unser Abendessen. All das hat nicht mehr viel mit unserem natürlichen Essverhalten zu tun.

Die "Picky Eater"-Studie der Stanford University

Ich möchte nun noch explizit auf Grundsatz 1 eingehen.

"Wenn mein Kind nur das essen dürfte, was ihm schmeckt, dann würde es ja nur noch Schokolade und Kuchen essen".

Ich kann absolut nachempfinden, wenn bei manchen Lesern ein Gedanke wie dieser aufgekommen ist. Deshalb möchte ich dir von einer Studie der US-amerikanischen Stanford University berichten. Bis zu elf Jahre lang haben die Wissenschaftler der amerikanischen Universität das Essverhalten von 120 Kindern beobachtet. Fast 40 % der teilnehmenden Kinder waren zu irgendeinem Zeitpunkt der Beobachtungsphase ein sogenannter "Picky Eater“, was das Pendant zu unserem "Suppenkasper“ ist. Als "Picky Eater“ bezeichnet man Kinder, die nur eine begrenzte Auswahl an Lebensmitteln essen, ihre Mahlzeiten nur auf eine bestimmte Art zubereitet haben möchten und eine stärkere Ablehnung bzw. Präferenz für bestimmte Lebensmittel ausbilden.

Das Ergebnis der Studie: Über kurz oder lang nahmen alle Kinder trotz ihres phasenweise einseitigen Ernährungsverhaltens die Nährstoffe zu sich, die sie brauchten. Die Forscher stellten keine negativen Auswirkungen auf ihre Entwicklung fest.

Ich selbst habe als Erwachsene über zwei Jahre lang mehrmals pro Woche eigens hergestellte Süßkartoffelpommes gegessen. Heute wird mir schon beim Anblick schlecht, wenn ich sie auch nur im Vorbeigehen im Supermarkt sehen kann. Die meisten von uns haben bereits vergleichbare Erfahrungen machen dürfen, sei es mit einer Packung Chips oder der ein oder anderen Tafel Schokolade, der wir nicht widerstehen konnten. Ähnlich wie mir in meinem Beispiel geht es unseren Kindern. Sie haben vielleicht eine größere Ausdauer was die Aufnahme eines bestimmten Essens betrifft, doch auch sie haben sich irgendwann am Nutellabrot satt gegessen und ihr Körper verlangt nach Abwechslung. Im Umkehrschluss wissen sie also – wenn auch manchmal unbewusst – welche Nahrung ihnen guttut.

Ganz schön natürlich, dieses Essverhalten

Auch Grundsatz 2 und 3 möchte ich noch näher beleuchten. Ich kenne einen Jungen, zwei Jahre alt, der die beiden Grundsätze wie eine Königsdisziplin beherrscht. In seinem Fall ist es so, dass er morgens beim gemeinsamen Frühstück in den seltensten Fällen Hunger verspürt. Er isst entweder gar nicht oder nur einen kleinen Happen. Ich selbst finde das in Ordnung und wir würden ihn niemals dazu zwingen, etwas zu essen. Mittags isst er oft zwei, meistens auch drei große Portionen. Wenn er satt ist, dann lässt er sein Essen augenblicklich stehen und wartet, bis die anderen Kinder mit dem Essen fertig sind. Ganz schön natürlich, dieses Essverhalten, stimmts?


Lass uns Klartext reden...

Ich möchte noch einmal den Bogen zu den Anfangsgedanken des Blogartikels spannen und Klartext reden.

Seinem Kind einzureden, dass es "für jemanden essen muss“, empfinde ich schlichtweg als unverantwortlich. Ein Kind soll niemals das Gefühl entwickeln, für die Zufriedenheit seiner Bezugspersonen verantwortlich zu sein. Der einzige Grund, warum es zur Nahrung greifen sollte, ist es selbst. Damit es selbst satt wird, gesund ist und das Essen als puren Genuss erleben kann.

"Die Kinder in Afrika“

Ebenso kann es einen Minderjährigen mit Schuld beladen, wenn man ihm vermittelt, dass er nun dankbar sein muss, weil in anderen Nationen Kinder verhungern müssen. Verstehe mich an dieser Stelle nicht falsch, Armut ist ein globales Problem, das man nicht unbeachtet lassen darf. Wir in Deutschland sind privilegiert und können uns glücklich schätzen, dass fast ein Jeder von uns genug zu Essen und zu Trinken hat. Doch kein deutsches Kind wird einem anderen in Afrika schaden, weil es die Hälfte seiner Erbsensuppe stehen lässt. Dein Kind soll Freude am Essen haben und seine eigenen Körpersignale wahrnehmen können. Es soll zu einer eigenständigen Person heranreifen. All das bremst du, wenn du es mit einem solchen Satz schuldig sprichst.

Ich denke, die meisten Eltern möchten, dass ihr Kind Dankbarkeit für die Lebensmittel entwickelt und dass kein Essen verschwendet und weggeworfen wird. Absolut verständlich.

In keinem Fall jedoch wirst du mit einer solchen Aussage ehrliche Dankbarkeit erreichen.

Möchtest du, dass dein Kind die Lebensmittel wertschätzt, dann empfehle ich dir gezielte Gespräche jenseits des Essenstischs. Denn je nach Alter deines Kindes könnt ihr euch tatsächlich gemeinsam über die Menschen aus den ärmeren Ländern und deren Essenssituation informieren. Dies sollte immer in einer spielerischen Form und in positiver Grundstimmung erfolgen. Ohne jeglichen Druck auf das Kind auszuüben oder ihm ein schlechtes Gewissen einzureden. Viele religiöse Feste – wie Erntedank oder Ramadan – sind ein geeigneter Zeitpunkt im Jahreslauf. Viele Kitas nehmen sie zum Anlass, um mit ihren Gruppen über verschiedene Nahrungsmittel zu sprechen und ihnen die Wertschätzung dafür nahezubringen.


Handlungsmöglichkeiten für dich


1. Vergiss die alltbekannten Sprichwörter

Verwende ausschließlich faktisch richtige Begründungen, warum dein Kind dieses und jenes essen sollte (gerne in vereinfachter Form z.B. „Milch ist gut für die Knochen“). Streiche die altbekannten Sprichwörter mit ihren falschen Kausalitäten. Es stimmt einfach nicht, dass ein leer gegessener Teller im Zusammenhang mit schönem Wetter steht. Vor allem ein jüngeres Kind wird ein solches Sprichwort wörtlich nehmen und tatsächlich glauben, dass es für etwas verantwortlich ist, das niemand verantworten kann: das Wetter.

2. Zwinge dein Kind nicht dazu, aufzuessen

Zwinge dein Kind niemals zum Essen bzw. zum Aufessen. Denn dies kann schwerwiegende Folgen, wie etwa die Entwicklung einer Essstörung, nach sich ziehen.

3. Intuitiv Essen - Du bist das beste Vorbild

Lebe deinem Kind ein achtsames Essverhalten vor. Trotz hektischem Alltag. Denn wie in allen anderen Bereichen bist du auch hier das beste Vorbild. Wenn du selbst ständig über deinen Hunger hinaus isst, Essen zum Stressabbau einsetzt oder Diäten machst, dann kann es sein, dass dein Kind dies später für sich übernimmt.

4. Vertraue!

Entspanne dich und habe Vertrauen. Vertraue darauf, dass dein Kind auf lange Sicht die richtige Essensmenge und die richtigen Nahrungsmittel zu sich nehmen wird. Dies kann auch bedeuten, dass du dein Kind von den bisherigen Strukturen frei machst. Es kann also wie der zweijährige Junge aus meinem Beispiel passieren, dass dein Kind nicht mehr frühstücken und dafür mittags drei Portionen essen möchte. Das ist okay so.


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Quellenangaben:


Dr. med. Mareike Awe. Merkblatt zu den vier Wohlfühlgrundsätzen.

https://www.mareikeawe.de/wp-content/uploads/2017/09/Worksheet-001.pdf (letzter Zugriff am 06.01.2021)


Anthony J. Mascola et. al.: Picky eating during childhood: a longitudinal study to age 11 years. Veröffentlicht am 11.12.2010. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20850060/ (letzter Zugriff am 31.12.2020)

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