In Teil I dieser zweiteiligen Blogreihe erfährst du, warum viele Eltern bei Besuchen von Oma und Opa anders handeln, als sie es eigentlich wollen. Außerdem gebe ich dir Wissen über die Erziehung von damals an die Hand, damit du künftig gelassener reagieren kannst, wenn es Kritik hagelt und dein Erziehungsstil infrage gestellt wird.
An einem Sommerabend in Berlin ...
Ein Sommerabend in Berlin, wie er im Buche steht. Ich saß mit ein paar meiner Kolleginnen bei Curry und Summerrolls in einem tollen, asiatischen Restaurant. Es war der vorletzte Abend unserer Ausbildung zur Bindungs- und Beziehungsorientierten Eltern- und Familienberaterin und wir sprachen über all die wunderbaren Inhalte, die wir in den letzten Monaten lernen durften. Doch wie du es vielleicht ahnst, wird es heute nicht um die wunderbaren Inhalte gehen. Ich spule nämlich ein wenig vor und zoome an eine bestimmte Sequenz heran.
Wenn wir anders handeln, als wir es wollten ...
Die Erwartungen der eigenen Eltern
Wir sprachen darüber, an welchen Stellen – und das ist wirklich spannend – es uns im Alltag trotz unserer Expertise nicht (!) gelingt, das Wissen im Umgang mit Kindern umzusetzen. Zwei meiner Kolleginnen erzählten, dass sie manchmal den Willen und die Gefühle ihrer Kinder weniger berücksichtigen, wenn sie sich von ihren eigenen Eltern beobachtet fühlen. Sie geraten unter Stress und handeln im Umgang mit ihrem Kind ganz anders, als sie es eigentlich wüssten - nämlich "strenger".
Ich höre das so ähnlich von meinen Klientinnen. Deren eigenen Eltern sagen nämlich Dinge wie:
„Du musst doch mal strenger sein.“
„Du musst dich doch auch mal durchsetzen.“ usw.
„Wenn du immer die Bedürfnisse der Kinder erfüllst, dann ziehst du dir doch Egoisten heran.“
Diese Coachings haben mich zu diesem Artikel inspiriert und nun möchte ich dir Anregungen geben, wie du gelassen bleibst und dich in einer solchen Situation am besten verhalten kannst.
Den größten AHA-Moment unseres Kolleginnen-Gesprächs werde ich dir übrigens am Ende verraten. Dranbleiben lohnt sich!
Ein Blick in die Vergangenheit
Die Erziehung von damals
Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit, so wird uns schnell klar, warum unsere eigenen Eltern (und Großeltern) andere Vorstellungen von Erziehung haben als wir sie heute haben.
„In der Erziehung spielten im letzten Jahrhundert bis in die 1970er- und 80er-Jahre hinein Gefühle kaum eine Rolle. Sie wurden nicht nur nicht beachtet, sondern in der Regel unterdrückt. Das passiert auch heute noch, und nach wie vor werden gerade starke und vermeintlich negative Gefühle als verwerflich empfunden und sind in unserer Gesellschaft unerwünscht. (…) Johanna Haarers Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind wurde in den 1930er-Jahren verfasst und bis 1987 1,2 Millionen Mal verkauft. Die haarersche Prämisse lautet: Wenig emotionale Nähe – sonst zieht man sich Tyrannen heran. Das hieß: Das kleine Kind schreien lassen, es nicht auf den Arm nehmen, ja überhaupt nicht zu viel Aufmerksamkeit und Nähe aufkommen lassen.“
Dieses Hintergrundwissen finde ich unglaublich wichtig, um bei sich zu bleiben, wenn das Kind auf der nächsten Familienfeier in einen Wutanfall ausbricht.
Der Aha-Moment
Trenne das Kooperationsband zu deinen Eltern
Zum Schluss habe ich dir ja versprochen, dass ich unseren AHA-Moment mit dir teilen werde. Dieser war nämlich, als eine Kollegin genau das berichtete: Als ihr eigener Vater zu Besuch war, hatte sie ihr Kind ganz anders behandelt als sie es eigentlich wollte. Sie war viel strenger zu den Kindern, als sie es eigentlich für angebracht hielt. „Weißt du, was spannend ist?", sagte eine Kollegin zu ihr, "Du hast in diesem Moment mit deinem eigenen Papa kooperiert!“. Das fand ich wirklich spannend. Denn wie ich es ganz oft predige „Kinder sind von Natur aus kooperationsbereit“. Sie wollen sich mit uns verbinden und es uns Recht machen. Tun sie dies nicht, so hat das immer einen Grund (sie sind gekränkt oder überfordert). Obwohl die Kollegin längst erwachsen ist, ist sie in die Rolle der Tochter ihres Vaters geschlüpft. Sie wollte unbewusst die Vorstellungen ihres eigenen Vaters erfüllen, ihm gegenüber "loyal sein" und das tun, was er von ihr (sei es bewusst oder unbewusst) erwartet: Sich Durchsetzen.
Wir dürfen hier also lernen, das Kooperations-Band zu unseren eigenen Eltern zu trennen und wiederin die Erwachsenenrolle schlüpfen. Wir dürfen wieder Frau unserer Lage sein.
Welche zwei Schritte dir dabei helfen können, verrate ich dir in Teil II dieser Blogreihe.